Pflasterfarbe stört

Aus dem Soester-Anzeiger vom 05.04.17 19:30

Ausbau der Rathausstraße verzögert sich: Zwei Schritte vor, einer zurück
 Das Pflaster auf dem Rathausvorplatz

Auf der Testfläche vor dem Rathaus können die Soester einen Eindruck davon bekommen, wie das neue Pflaster ausgesehen hätte – wenn sich Verwaltung, Politik und Behinderten-Arbeitsgemeinschaft darauf geeinigt hätten.
© Dahm
Soest - Eigentlich war doch schon (fast) alles klar – bis Dienstagabend: Da befasste sich der Stadtentwicklungsausschuss (SteA) noch einmal mit dem geplanten Ausbau der Rathausstraße, der im Juli beginnen sollte, sah bei den Details zur vorgesehenen neuen Pflasterung ganz genau hin und entschied sich schließlich dafür, eine Entscheidung zunächst einmal zu vertagen. Das könnte weitreichende Folgen haben.
Die Verwaltung hatte sich eine Menge Mühe gegeben, sogar eine „Testfläche“ vor dem Rathaus verlegt und die Soester buchstäblich mit den Füßen abstimmen lassen.
Heraus kam dabei schließlich eine Variante, die den Spagat schaffen sollte zwischen einer dem Charme der Altstadt angemessenen Optik und der Sicherstellung der Barrierefreiheit – und zwar sowohl für Menschen mit Einschränkungen beim Gehen als auch beim Sehen.
Diese Variante aus grünem Granit, eingefasst von deutlich helleren grauen „Leitstreifen“, die mit einem Höhenunterschied von einem Zentimeter verlegt werden und damit auch vollständig erblindeten Menschen eine Möglichkeit der Orientierung bieten sollten, hatte auch den nicht zuletzt für eine Förderung nötigen Segen der Behinderten-Arbeitsgemeinschaft Kreis Soest (BAKS) bekommen. Allerdings forderte die BAKS hellere Leitstreifen, um einen stärkeren Kontrast zur restlichen Fläche zu erzielen.
Da aber sperrte sich der Ausschuss: Angesichts der Tragweite der Entscheidung und des prägenden Charakters des Pflasters im ottonischen Kern der Altstadt für mehrere Jahrzehnte verspürte nicht nur Bernd Milke (FDP) „heftige Bauchschmerzen“ bei dem Gedanken, diese Ausbauvariante auf den Weg zu bringen. Bedenken gab es auch deshalb, weil die Streifen in rechten Winkeln in die kreuzenden Gassen „abbiegen“ sollten.

Schließlich wurde die Verwaltung beauftragt, nach verträglicheren Lösungen zu suchen und eine Entscheidung vertagt. Damit ist klar, dass der Ausbau in diesem Jahr kaum noch realisiert werden kann: Schließlich ist jetzt wieder völlig offen, wann sich die Politik auf einen Beschluss einigen wird – und alleine die Lieferfrist für die grünen Pflastersteine beträgt rund 14 Wochen: Solange brauchen sie aus dem fernen China nach Soest.


Kommentar:
Barrierefreiheit oder schöner Schein
Ausgerutscht ist die Politik zwar noch nicht, aber nach ein paar entschlossenen Schritten vor ist sie nun zumindest wieder einen zurück gegangen.
Das muss nicht schlecht sein, werden doch noch Generationen von Soestern und Besuchern über eben jene Steine laufen, die jetzt zur Debatte stehen, wenn die derzeit aktiven Akteure im Politikbetrieb die Füße längst hochgelegt haben.
Unnötige Eile darf also getrost vermieden werden, Sorgfalt bei der Auswahl der Materialien und ein größtmöglicher Konsens haben Vorrang – was natürlich nicht heißt, dass es auch dann keine Kritiker geben wird, denen die Veränderungen nicht gefallen werden.
Gekaufte Zeit wird das eigentliche Dilemma aber nicht auflösen: Barrierefreiheit verträgt sich nicht mit einer historisch gewachsenen Altstadt – da werden die Herren und Damen in Rat und Ausschüssen am Ende dem Einen oder dem Anderen den Vorrang geben müssen.
Ich hoffe und glaube, dass sich die Waage zugunsten der Barrierefreiheit neigen wird, denn die Stadt ist für die Menschen da. Der schöne Schein hat sich da der Fortbewegung unterzuordnen, wo beide aufeinanderprallen. - Achim Kienbaum

Autor
 
Achim Kienbaum
stadtredaktion